Am 18.01.2018 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Schlussanträge von Generalanwalt Michal Bobek zur Anfrage des französischen Conseil d’État zur Klärung der Einordnung von Mutagenese-Verfahren im Sinne des Gentechnikrechtes bzw. der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG. In der Pressemitteilung heißt es: „Nach Ansicht von Generalanwalt Bobek sind durch Mutagenese gewonnene Organismen grundsätzlich von den in der Richtlinie über genetisch veränderte Organismen geregelten Verpflichtungen ausgenommen“.
Der Hintergrund
Im Dezember 2014 hatten einige Gentechnik-kritische Organisationen in Frankreich die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in nationales französisches Recht angezweifelt, bei der durch Mutagenese entstandene Organismen von einer Regulierung ausgenommen wurden. Sie wandten sich mit ihrer Klage an den französischen Staatsrat (Conseil d’État), das oberste französische Verwaltungsgericht. Da der Staatsrat selbst bei der Auslegung bestimmter Begriffe aus der EU Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG (Definition «Mutagenese») Klärungsbedarf sah, wandte er sich an die höchste europäische Entscheidungsstelle und hat im Oktober 2016 ein Vorabentscheidungsersuchen mit konkreten Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet. Darin soll auch die Anwendbarkeit des Gentechnikrechts auf die neuen Züchtungsverfahren entschieden werden.
Fragen, Antworten und Schlussfolgerungen
1. Begriff der Mutagenese und Anwendung
Frage:
Sind durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte
Organismen im Sinne von Art.2 der Richtlinie 2001/18, obwohl sie nach Art.3 und Anhang I B der Richtlinie von den Verpflichtungen bezüglich der Freisetzung und des Inverkehrbringens von genetisch
veränderten Organismen ausgenommen sind? Können insbesondere Mutageneseverfahren, vor allem die neuen Verfahren der gezielten Mutagenese unter Einsatz gentechnischer Verfahren als in Anhang I A,
auf den Art. 2 verweist, aufgeführte Verfahren angesehen werden? Sind die Art.2 und 3 sowie die Anhänge I A und I B der Richtlinie 2001/18 demzufolge dahin auszulegen, dass sie von den Maßnahmen
der Vorsorge, der Verträglichkeitsprüfung und der Rückverfolgbarkeit alle durch Mutagenese gewonnenen genetisch veränderten Organismen und ebensolches Saatgut ausnehmen oder nur diejenigen
Organismen, die mit den schon vor Erlass der Richtlinie bestehenden konventionellen Methoden der Zufallsmutagenese durch ionisierende Strahlung oder chemische Mutagene erzeugt
wurden?
Antwort von Generalanwalt Bobek:
„Sofern sie die materiellen
Voraussetzungen von Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie erfüllen, stellen durch Mutagenese gewonnene Organismen meines Erachtens GVO im Sinne der GVO-Richtlinie dar (a). Solange das
Mutageneseverfahren jedoch nur mit der Verwendung von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen oder GVO verbunden ist, die aus einem oder mehreren der in Anhang I B aufgeführten Verfahren
hervorgegangen sind, sind diese Organismen nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I B von den Verpflichtungen nach der GVO-Richtlinie ausgenommen(b).“ (Verweis:
Randnummer 55 und 56)
Schlussfolgerung
Hiermit stellt Generalanwalt Bobek klar, dass durch Mutagenese gewonnene Organismen grundsätzlich von den in der GVO-Richtlinie über genetisch veränderte
Organismen geregelten Verpflichtungen ausgenommen sind. Er verweist weiter darauf, dass der Gesetzgeber seinerzeit die Mutagenese-Verfahren nicht ausschließlich auf die sicheren und die bereits
angewandten Mutagenese-Verfahren verstanden wissen wollte, sondern fortschreibend auch alle neuen Verfahren, bei denen es nicht zur Einführung von neuem genetischen Material kommt, sondern nur zu
inhärenten Veränderungen im Genom (z. B. Punktmutationen). Hier wird nun das Endprodukt und nicht das Verfahren als maßgeblich für die Regulierung angesehen. Für die Bewertung der Sicherheit für
Mensch und Umwelt steht das Produkt im Vordergrund und wenn die Veränderung im Genom durch eine Mutagenese hervorgerufen wurde, wie sie auch unter natürlichen Bedingungen vorkommen könnte, kann
eine Risikobewertung entfallen.
2. Durch neue Züchtungsverfahren gewonnene herbizid-tolerante Rapssorte (Cibus)
Frage:
Stellen durch Mutagenese gewonnene Sorten genetisch veränderte Sorten
im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2002/53/EG vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten (2) dar, die nicht von den in dieser Richtlinie
vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen wären? Oder stimmt der Anwendungsbereich dieser Richtlinie vielmehr mit dem sich aus den Art. 2 und 3 sowie Anhang I B der Richtlinie vom 12. März 2001
ergebenden überein, und sind durch Mutagenese gewonnene Sorten auch von den Verpflichtungen ausgenommen, die die Richtlinie vom 13. Juni 2002 in Bezug auf die Eintragung genetisch veränderter
Sorten in den gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten vorsieht?
Antwort von Generalanwalt Bobek:
„(…) Somit ist die Richtlinie 2002/53 meines Erachtens im Licht der GVO-Richtlinie auszulegen, so dass durch Mutagenese
gewonnene Organismen, auch wenn sie genetisch veränderte Sorten darstellen, von den besonderen Verpflichtungen nach der Richtlinie 2002/53 ausgenommen sind.“ (Verweis: Randnummer 154 und
1459)
Schlussfolgerung
Generalanwalt Bobek ist der Ansicht, dass diese neuen Pflanzen (Rapssorten) von den sich aus der GVO-Richtlinie ergebenden Verpflichtungen ausgenommen sind. Er
bestärkt damit die Auffassung des BVL in Sachen Cibus-Raps5
3. Möglichkeiten einer generellen Harmonisierung oder nationalen Gesetzgebung
Frage:
Stellen die Art. 2 und 3 sowie Anhang I B der Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt insoweit, als sie die Mutagenese vom Anwendungsbereich der in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausnehmen, eine Maßnahme der vollständigen Harmonisierung dar, die es den Mitgliedstaaten untersagt, durch Mutagenese gewonnene Organismen ganz oder teilweise den in der Richtlinie vorgesehenen oder anderen Verpflichtungen zu unterwerfen, oder verfügten die Mitgliedstaaten bei ihrer Umsetzung über ein Ermessen hinsichtlich der Festlegung der Regelung für durch Mutagenese gewonnene Organismen?
Antwort von Generalanwalt Bobek:
„Ich schlage daher vor, die dritte Frage
wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2001/18 hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Maßnahmen zur Regelung der Mutagenese zu erlassen, sofern sie dabei die sich aus dem Unionsrecht
ergebenden übergreifenden Verpflichtungen beachten.“ (Verweis: Randnummer 123 und 124)
Schlussfolgerung
Mitgliedsstaaten dürfen durch Mutagenese-Verfahren gewonnene Organismen regulieren. Der Generalanwalt stellt klar, dass es den Mitgliedstaaten unter der
Voraussetzung der Beachtung übergreifender Grundsätze des Unionsrechts freisteht, Maßnahmen zur Regulierung solcher Organismen zu erlassen. Solche nationalen Regelungen müssen jedoch den
Grundsätzen des Unionsrechts entsprechen und dürfen nicht willkürlichen Annahmen oder politischen Vorstellungen entsprechen.
4. Vorsorgeprinzip, Verträglichkeitsprüfungen und Rückverfolgbarkeit
Frage:
Kann die Gültigkeit der Art. 2 und 3 sowie der Anhänge I A und I B der
Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001 insoweit, als diese Bestimmungen für durch Mutagenese gewonnene genetisch veränderte Organismen keine Maßnahmen der Vorsorge, der Verträglichkeitsprüfung
und der Rückverfolgbarkeit vorsehen, im Hinblick auf das in Art. 191 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerte Vorsorgeprinzip in Frage gestellt werden, wenn man
die Entwicklung der gentechnischen Verfahren, die Entstehung neuer Pflanzensorten, die durch diese Verfahren gewonnen werden, und die derzeitigen wissenschaftlichen Unsicherheiten hinsichtlich
der Auswirkungen dieser Verfahren und der damit verbundenen potenziellen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier bedenkt?
Antwort von Generalanwalt Bobek:
„In der vorliegenden Rechtssache sehe ich
keine Gründe, die sich aus der allgemeinen Verpflichtung zur Aktualisierung von Rechtsvorschriften, die vorliegend durch den Vorsorgegrundsatz verstärkt wird, ergeben und die Gültigkeit der
Mutagenese-Ausnahme nach Art. 3 Abs.1 der GVO-Richtlinie und deren Anhang I B in Frage stellen könnten.“ (Verweis: Randnummer 143).
„Aus diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof eine Beantwortung dahin vor, dass die Prüfung der vierten Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Art. 2 und 3 der GVO-Richtlinie sowie ihrer Anhänge I A und I B berühren könnte.“ (Verweis: Randnummer 152).
Schlussfolgerung
Der Generalanwalt konstatiert, dass das Vorsorgeprinzip auch hier gewahrt bleibt.
Fazit
Die Empfehlungen des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend, allerdings folgt er ihnen häufig. Ist dies auch hier der Fall, muss das aktuelle Gentechnikgesetz weder geändert noch erweitert werden.
Kontakt:
Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik e.V. (WGG)
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