Am Mittwoch, 05.07.2023, hat die EU-Kommission ihren lang erwarteten Vorschlag zur Regulierung gewisser genomeditierter Pflanzen (NGT-Pflanzen) veröffentlicht: ► “Regulation of the European Parliament and of the Council on plant obtained by certain new genomic techniques and their foods and feeds, and amending Regulation(EU) 2017/625”
Der Vorschlag orientiert sich einerseits an den wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen im Bereich der Genomeditierung und anderseits an den weltweiten Regulierungen für geneditierte Pflanzen, die keine „artfremde“ DNA-Sequenzen (keine artfremde genetische Information) enthalten. Mit dem Vorschlag möchte die Kommission auch den internationalen Handel und Warenverkehr mit NGT-Pflanzen und daraus gewonnenen Erzeugnissen erleichtern.
Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht ist der Kommissionsvorschlag zu begrüßen. Er trägt dem wissenschaftlichen Kenntnisstand und neuesten Entwicklungen in der
Pflanzenzüchtung Rechnung und wird innovative Anwendung der neuen genomischen Techniken in der EU ermöglichen. Seine Umsetzung würde Feldstudien erleichtert, was zum Verständnis von Genomen und
den Wechselwirkungen von Genen unter schiedlichen Umweltbedingen (Stressfaktoren) beitragen würde.
Für weitere Informationen siehe:
Der Kommissionsvorschlag muss entsprechend dem ► ordentlichen Gesetzgebungsverfahren noch im Europaparlament (EP) und Rat (R) beraten und genehmigt werden, bevor er zum einem Gesetz (hier einer Verordnung) wird. Es ist noch ein langer und steiniger Weg. Die erste Weichenstellung erfolgt bereits im EP mit der Auswahl des zuständigen Ausschusses und dem Berichterstatter.
Falls der Vorschlag der Kommission ohne Änderungen in eine Verordnung umgesetzt wird und entsprechend dem ► EuGH-Urteil (C-528/6) vom 25. Juli 2018 wird es in Zukunft vier Klassen von gentechnisch veränderten Pflanzen und daraus gewonnene Erzeugnisse geben, die unterschiedlich reguliert werden.
Klasse 1: Pflanzen aus klassischen Zufallsmutageneseverfahren. In vitro- und in vivo- Behandlung mit mutagenen Substanzen oder ionisierenden Strahlen. Diese Pflanzen sind gemäß dem EuGH-Urteil C-528/6 gentechnisch verändert, aber entsprechend Annex 1 B fallen sie nicht unter den Anwendungsbereich der Freisetzungsrichtline 2001/18/EG. Sie unterliegen keinerlei Anforderungen aus der Gentechnikgesetzgebung. Sie werden wie konventionelle Pflanzen geregelt.
Klasse 2: NGT-1-Pflanzen
NGT-1-Pflanzen sind GVO. Diese Pflanzen werden als äquivalent zu konventionellen Pflanzen eingestuft. Sie enthalten keine „artfremde“ DNA. Jegliche neu eingeführte genetische Information stammt aus dem Pflanzenpool der Züchter. Sie entsprechen Pflanzen, die auch auf konventionellen Wegen erzeugt werden könnten. Diese Pflanzen fallen nicht unter die Regelungen der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG und den Verordnungen (EC) 1829/2003 und (EC) 1830/2003. Sie werden nach der neuen Verordnung geregelt.
Klasse 3: NGT-2-Pflanzen
Alle Pflanzen, die nicht unter NGT-1-Pflanzen gemäß der neuen Verordnung fallen. Sie werden in einem der genetischen Veränderung angepassten Verfahren aus dem Prozedere der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG, VO (EC) 1829/2003 und VO (EC) 1830/2003 geregelt.
Klasse 4: Pflanzen aus den „klassischen“ Gentechnikverfahren und SDN-3-Verfahren sofern die genetische Information nicht aus dem Pflanzenpool der Züchter stammt. Sie unterliegen allen Anforderungen aus der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG bzw. sowie allen weiteren Regelungen zu ihrem Inverkehrbringen.
Kommt eine Regelung zu den genomeditierten Pflanzen noch vor den Wahlen zum Europa-Parlament?
Ursprünglich plante die Kommission ihren Vorschlag für eine Regulierung von Pflanzen, die mit Hilfe der neuen genomischen Techniken (NGT) gezüchtet wurden, am 07. Juni 2023 vorzustellen. Nachdem der Ausschuss für die ►Regulierungskontrolle den Entwurf zur Regulierung der NGT bemängelt und an DG Sante zurückgewiesen hat (siehe oben „Kommission verschiebt die Veröffentlichung….“), wurde die Vorstellung des Entwurfs zur Regulierung der NGT auf später verschoben.
Die Diskussion um den noch nicht veröffentlichten Kommissionsverschlag geht unvermindert weiter und wird z. T. fundamental geführt. Einerseits gibt es Änderungsbedarf an dem Vorschlag innerhalb der Kommission und anderseits kontroverse Diskussionen zwischen den Parteien des EU-Parlaments und der Kommission. Die Diskussion um den Kommissionsvorschlag zu den NGT ist längst um Politikum geworden, wissenschaftliche und wirtschaftliche Argumente (Nutzung von Innovationen) spielen nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die Hauptfrage ist, ob Pflanzen aus den NGT (SDN 1/SDN 2) in die Ausnahmeregelung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG (Art. 3, Anhang I A, Teil 1) überführt werden, oder ob für sie eine spezielle Regelung geschaffen wird. Letzteres ist aus den vorangegangenen Diskussionen der Fall. Die Problempunkte für diese neue Regelung sind:
Risikobewertung und Zulassungsverfahren
Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung
Nachhaltigkeitsanalyse
Koexistenz zwischen den landwirtschaftlichen Anbauformen
Absicherung der Koexistenz zwischen unterschiedlichen Formen der Landwirtschaft
Die Koexistenz zwischen den Anbauformen soll gesichert werden, wobei hier ausschließlich die gentechnikfreie Landwirtschaft, der Ökolandbau, gemeint und geschützt werden soll. Im Umkehrschluss soll eine Landwirtschaft mit Pflanzen aus den NGT (SDN 1/ SDN 2) möglichst verhindert werden. Deshalb wird von Ökoverbänden, Teilen der Fraktion der Grünen/EFA im EU-Parlament aber auch aus Teilen der Kommission eine klare und gerichtsfeste Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Pflanzen aus den NGT in der neuen Regulierung gefordert. Die Kennzeichnung und deren Durchsetzung ist hier aber das Problem. Das Nachweisen einer Punktmutation, kleiner Insertionen oder Deletionen ist immer möglich, aber bislang gibt es kein Verfahren zum Nachweis, wie diese Veränderungen entstanden sind. Ein Nachweis ob die Veränderung auf natürliche Weise oder durch eine zufällig induzierte Mutation oder durch die neuen genomischen Techniken (SDN 1 /SDN 2) entstanden sind, ist nicht möglich. Daher ist auch die Festschreibung eines gerichtsfesten Nachweises nicht gerechtfertigt. Zielführend ist es aber dahin, eine spezielle Regulierung von Pflanzen aus NGT (SDN 1 / SDN 2) zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern.
NGOs und Ökoverbände erwarten bei einer Regulation von Pflanzen aus den NGT (SDN 1/SDN 2) mit der die Koexistenz nicht gewährleistet ist und die bestehenden Gentechnikgesetze „aufgeweicht“ werden ein „Aus“ zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe, die ohne Gentechnik arbeiten sowie von Herstellern von gentechnikfreien Lebensmitteln. Sie warnen die Kommission vor einer Deregulierung und bitten Vize-Präsident Timmermans um ein informelles und konstruktives Gespräch (16.05.2023).
Pressemeldungen und Statements hierzu:
Schreiben vom 16.05.2023: Re: Request for a meeting on New Genomic Techniques: Time to shift to evidence-based decision making for sustainable food systems and nature
Corporate Europe Observatory: Timmermans: Prevent deregulation of GM now!
https://corporateeurope.org/en/2023/05/timmermans-prevent-deregulation-gm-now
Friend of the earth Europe& Foodwatch: Unmasking new GMOs protecting farmers and consumers’ right to transparency
https://friendsoftheearth.eu/wp-content/uploads/2023/05/FoEE-FW-Unmasking-new-GMOs-briefing-ENG.pdf
Interview: Marc Bebenroth: »Der Industrie geht es nicht um Hunger oder Klima«
https://www.jungewelt.de/artikel/451273.der-industrie-geht-es-nicht-um-hunger-oder-klima.html
ÖkoLandbau: Bedroht die neue Gentechnik den Öko-Landbau?
Bundesverband Deutscher Milchviehhalter e.V. (BDM): Das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung muss gesichert werden
Informationsdienst Gentechnik: Neue Gentechnik: Biopatente bedrohen Züchtungsfreiheit
https://www.keine-gentechnik.de/nachricht/34764?cHash=957d0225f7e4b3f8970a07f759f28b7b
Umgekehrt heben Verbände aus Wirtschaft und Landwirtschaft die Bedeutung der neuen genomischen Techniken für ihre Bereiche in einem Schreiben an die Kommission hervor. Sie erläutern den Begriff „Transparenz“ im Sinne einer Wahlfreiheit von Verbrauchern bei der Auswahl ihrer Lebensmittel sowie im Sinne einer unternehmerischen Freiheit aller Marktbeteiligten. Sie betonen aber auch, dass Transparenz nicht allein Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit bedeutet und weisen auf die Schwierigkeiten einer Durchsetzbarkeit und Überprüfung einer Kennzeichnungspflicht hin. Im Zusammenhang mit der Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit weisen sie nochmals auf die Koexistenz der landwirtschaftlichen Anbauformen und die Problematik im internationalen Handel mit Erzeugnissen aus genomeditierten Pflanzen hin. Sie erwarten von der Kommission eine rasche Umsetzung einer Regulation von Pflanzen aus den NGT (SDN 1/ SDN 2) auf einer wissenschaftlichen Basis und entsprechend den Erkenntnissen aus den Befragungen sowie nach den demokratischen Spielregeln.
Schreiben von Wirtschafts- und Landwirtschaftsverbänden
EuropaBio: Policy Proposal for New Genomic Techniques – Joint Letter to EU Vice-President Frans Timmermans and EU Commissioners Stella Kyriakides and Janusz Wojciechowski
https://www.europabio.org/wp-content/uploads/2023/05/23.0265.3-Value-chain-Letter-NGTs.pdf
Verknüpfung mit Green Deal und anderen Regulierungen
Ein weiteres Problem für die Regulierung der Pflanzen aus den NGT (SDN 1/SDN 2) wird in der engen Verknüpfung mit dem Green Deal und weiterer Gesetzesvorhaben gesehen. Bei Letzteren ist die enge Verflechtung mit der Entwicklung eines nachhaltigen EU-Lebensmittelsystems und eines neuen Saatgutrechts mit Fragen der Patentierung zu erwähnen.
Im Zusammenhang mit dem Green Deal spielen die Entwürfe um die Verordnungen über den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR; Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmittel um 50 % in der EU bis 2030 und generelles Verbot von Pflanzenschutzmittel in „empfindlichen“ Gebieten) sowie zur Wiederherstellung der Natur (NRL) eine besondere Rolle.
Mit der Ablehnung beider Entwürfe durch die Europäische Volkspartei (EVP) hat sich die Diskussion um die Regulation verschärft. Beide Verordnungen spielen bei die Kommission eine zentrale Rolle für die Umsetzung des Green Deals. Damit der Green Deal auch erfolgreich umgesetzt werden kann, sieht die Kommission in der Verwendung von genomeditierten Pflanzen aber einen wichtigen Beitrag. Mit der Ablehnung der beiden genannten Vorschläge sieht die Kommission das Vorhaben des Green Deals gefährdet und fragt sich, ob man dann tatsächlich auch eine spezielle Regulation für Pflanzen aus den NGT (SDN 1 / SDN 2) benötigt. Sie macht das Parlament und insbesondere die EVP darauf aufmerksam, dass es ohne Annahme der beiden Entwürfe es auch keine Regulierung für genomeditierte Pflanzen geben würde. Noch ist kein Kompromiss oder Verständigung gefunden worden. Es ist aber zu erwarten, dass diese kontroversen Diskussionen die Vorstellung des Entwurfs für Pflanzen aus den neuen genomischen Techniken weiter verzögern werden.
Die Regulierungsvorhaben SUR und NRL:
SUR:
COM (2022) 305 final: Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung der
Verordnung (EU) 2021/2115
NUR: COM (2022) 304: Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur
DNR: Das neue EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur
„Das Gesetz soll Schäden an der europäischen Natur bis 2050 beheben. Der Verordnungsvorschlag legt EU-weit rechtlich verbindliche Ziele für die Wiederherstellung der Natur in verschiedenen Ökosystemen vor:
https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/das-neue-eu-gesetz-zur-wiederherstellung-der-natur
Pressemeldungen:
Informationsdienst Gentechnik: EU-Kommission: ohne Pestizidreduktion keine neue Gentechnik
https://www.keine-gentechnik.de/nachricht
Foote N.: EU-Kommission bindet Gentechnik-Lockerung an Pestizidreduktion
Foote N.: Timmermans rügt EVP: Green Deal kein „à la carte“ Menü
Der neue Termin: 05.Juli 2023
Das Vorgehen der Kommission ist bei der gegenwärtigen Gemengelage ungewiss und verwirrend. In der am 15. Mai 2023 veröffentlichten Tagesordnungen für das Kollegium über den Zeitraum 24. Mai – 12. September 2023 ist keine Diskussion über die Regulierung von Pflanzen aus den neuen genomischen Techniken vorgesehen. Jedoch zwei Tage später, also in den am 17. Mai 2023 veröffentlichten Tagesordnungen wird für den 05. Juli 2023 eine entsprechende Diskussion aufgeführt. Interessanterweise ist hier auch die Diskussion über den Entwurf zur Regulierung von Saatgut aufgeführt. Dies verdeutlicht nochmals die enge Verknüpfung beider Regulierungsverfahren.
Man kann gespannt sein, ob an diesem Tag tatsächlich die NGTs abgehandelt werden.
Commission Européenne: SEC(2023) 2456 final: LISTE DES POINTS PRÉVUS POUR FIGURER A L'ORDRE DU JOUR DES PROCHAINES RÉUNIONS DE LA COMMISSION
https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/api/files/SEC(2023)2456?ersIds=090166e5fbe3fc38
Tagesordnungen geben nur mögliche abzuhandelnde Themen an und die Kommission ist für Änderungen jederzeit sehr flexibel.
arc2000: A Summer off – Commission to avoid NGTs, Pesticides & Nature Restoration?
https://www.arc2020.eu/a-summer-off-commission-to-avoid-ngts-pesticides-nature-restoration/
29.05.2023
Kontakt:
Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik e.V. (WGG)
Nelkenstraße 36
76351 Linkenheim-Hochstetten
e-mail: zentrale@wgg-ev.de